Tagi, 31.08.2010: Ein Ja zum Stehplatz
Protest Die Südkurve des FC Zürich hat die Schalensitze entfernt, um ihre Fankultur besser ausleben zu können.
Von Thomas Schifferle
Sie verkaufen sich als Ritter der guten Stimmung. Sie sehen sich selbst «als diejenigen, die dafür sorgen, dass an Fussballspielen in Zürich nicht eine 3.-Liga-Atmosphäre herrscht», schreiben sie in einer Mitteilung.
Sie sind die Aktivisten der Südkurve, die am Samstag vor dem Spiel ihres FCZ gegen den FC St. Gallen eine Protestaktion starteten, die bislang einmalig ist: Sie montierten da, wo sie im Stadion ihre Heimat haben, rund 1800 Stühle ab. Sie riefen «Stühle raus!» und hatten damit nur zum Ziel, dass ihr Wunsch nach Stehplätzen endlich erfüllt wird.
Sie verstehen sich nicht einfach als Fans, sondern als Teil ihres Vereins, als etwas Besonderes, sie haben – bei allen Aussetzern, die auch sie sich leisten – kreative Köpfe, die die Südkurve zu einem stehenden Begriff für intensiv gelebte Fankultur gemacht haben.
Seit vier Jahren und dem Abbruch des alten Letzigrunds kämpfen sie für ihr Anliegen. Sie wollen sich nicht zermürben lassen von «vorgeschobener Bürokratie» und einem «Kompetenzengewirr» von Stadt- und Gemeinderat, Feuerpolizei und Stadionmanagement. Darum haben sie am Samstag so reagiert. Sie wollen stehen, nur das.
Gut, das tun sie auch jetzt schon vor ihren hochgelappten Schalensitzen. Und mag begreifen, wer will, warum die Stühle sie dabei stören, warum ihnen das Gedränge lieber ist, der enge Kontakt zum Kollegen, warum sie Sitzplätze akzeptieren im Europacup, aber nicht in der Super League. Aber so sind sie, so denken und empfinden sie. Das ist ihre Sache, auch ihr Recht.
Fans wollen stehen
England war einst führend bei der Einführung reiner Sitzplatzstadien – ausgerechnet England mit seiner ausgeprägten Fankultur. Das verlangte die Regierung nach der Tragödie von Hillsborough, dem Stadion von Sheffield, wo im April 1989 in einem überfüllten Stehplatzsektor 96 Zuschauer zu Tode gequetscht wurden. Die Fifa und die Uefa zogen nach und lassen bis heute bei internationalen Spielen keine Stehrampen mehr zu. Sitzplatzstadien bedeuten mehr Sicherheit, mehr Komfort, mehr Geld. Gerade in England haben diese Massnahmen den Fussball, der so sehr unter den Auswüchsen des Hooliganismus gelitten hatte, wieder salonfähig gemacht.
Aber das Bedürfnis zu stehen ist bei den Fans geblieben. Nur so glauben sie, richtig Stimmung machen zu können. Und die Südkurve orientiert sich nicht an England, sondern an Basel und Bern oder an München und Dortmund, weil da für nationale Spiele Stehplatzsektoren eingerichtet werden. Was da nach Absprachen mit den Fans gutgeht, sollte eigentlich auch in Zürich machbar sein. Darum gibt es keinen Grund, nicht Ja zu sagen zu Stehplätzen im Letzigrund und in einem neuen Zürcher Stadion.
Natürlich kostet es immer Geld, einen Sektor umzurüsten. 30 000 Franken sind es in Basel, um die Stühle abzuschrauben und einzulagern. In Zürich geht es um einen ähnlichen Betrag. Die 3000 Kurvengänger des FCZ wollen sich daran beteiligen. Und das ist gut so, weil sie ihren Teil zu einer Neuregelung leisten müssen. Und wenn sie Stehplätze nicht als Aufforderung verstehen, um sich aufzuputschen für Auseinandersetzungen mit Polizei und Abgesandten anderer Klubs; und wenn sie es in ihrer Selbstdisziplinierung gar noch schaffen, auf Pyros zu verzichten – dann braucht sich keiner mehr weiter zu stören an der Tatsache, dass die Südkurve handfestes Werkzeug ins Stadion schmuggelte, um die Stühle abschrauben zu können.