Zürcher Südkurve

NZZ am Sonntag, 05.09.2010: Den Kühlschrank Letzigrund wärmen

Lob für Kreativität, statt Klage über Chaoten: Die Demontage der Stühle im Letzigrund hat den FCZ-Fans Anerkennung gebracht. Ob sie Stehplätze erhalten, ist trotzdem fraglich.

Christine Steffen
Ein ganz neues Gefühl für Fussballfans: Sie vollziehen eine Aktion an der Grenze zur Legalität und ernten Lob. So geschehen den FCZ-Anhängern aus der Letzigrund-Südkurve, die vor acht Tagen in einer perfekt organisierten Aktion im Stadion 2000 Sitze abmontiert hatten. Dies um ihrem Wunsch nach Stehplätzen Nachdruck zu verleihen. Am Mittwoch haben an die 100 Fans die Sitze wieder eingebaut. Der temporäre Umbau hat weit herum für Schmunzeln gesorgt – und Goodwill geschaffen, wo sonst Skepsis herrscht.

«Gelungene PR-Aktion», nannte Stadtrat Gerold Lauber den Coup; die Stadt sei «beeindruckt», sagt sein Mediensprecher Marc Caprez; Stadionmanager Peter Landolt äussert «vollste Zufriedenheit» über den Rückbau und FCZ-Präsident Ancillo Canepa hält die Intervention für «äusserst innovativ und kreativ» – Friede und Freude allenthalben. Und Balsam für die Fans, die sich in ihrem Anliegen lange nicht ernst genommen fühlten, wie Luca Salomon, Vertreter der Südkurve, sagt. Ihn stört, dass beim jährlichen Leichtathletikmeeting Stehplätze geschaffen werden, die Fussballfans, die den «stimmungsfeindlichen» Letzigrund alle zwei Wochen belebten, aber seit Jahren erfolglos kämpfen. Nun mag man sich fragen, warum Stehen überhaupt so viel besser sein soll – zumal in grossen Fussballnationen wie Spanien oder England gesessen wird. Die Stadien der Premier League seien auch nur noch ein Schatten ihrer selbst, kontert Salomon. Fans in der Kurve wollten aktiv am Spiel teilhaben und das Team anfeuern. Sitzend sei es rein stimmlich schwierig, eine Stimmung zu zaubern, «wie sie sich auch die Sponsoren wünschen.» Reglementierungen würden dazu führen, dass es im «Kühlschrank» Letzigrund noch stiller werde. «Das macht den Besuch für Gelegenheitsgäste noch unattraktiver.»

Nicht zuletzt waren es Sicherheitsbedenken, die dazu führten, dass der Letzigrund als reines Sitzplatzstadion konzipiert wurde. Auch Fifa-Präsident Joseph Blatter hat die Schliessung der Stehplätze gefordert mit dem Argument, wer sitze, sei ruhiger. Davon hält Salomon nichts; er erinnert an den Schweinekopf, der von wütenden Zuschauern bei einem Spiel von Barcelona gegen Real Madrid in Richtung des Real-Spielers Luis Figo geworfen wurde. Sowohl in St. Gallen wie in Basel und Bern, wo es in den modernen Stadien Stehplätze gibt, sei es nie zu einem Vorfall gekommen, der auf stehende Fans zurückzuführen gewesen sei, sagen Klubvertreter. Für den Sprecher der Swiss Football League, Roger Müller, ist das «Problem mit der Gewalt vielschichtiger», als dass es sich auf Stehplätze zurückführen liesse.

Das Sicherheitsargument zählt auch für den FCZ-Präsidenten Canepa nicht, «im Gegenteil ist die Situation zurzeit gefährlich, weil die Fans zwischen den Sitzen stehen». Salomon sagt, dass man sich durch die Bewegungsfreiheit weniger eingeengt fühle, was zu einer Verminderung der Aggressionen führe.

Mittlerweile ist auch die Stadt davon abgerückt, mit Sicherheitsbedenken zu argumentieren; was bleibt, ist die Kostenfrage. Mehrere hunderttausend Franken würden laut Sportamt die baulichen Anpassungen für Stehplätze kosten. Dass nicht die Steuerzahler für die Anliegen von 3000 Fans zur Kasse gebeten werden könnten, sei ihr bewusst, schreibt die Südkurve. Sie will sich an den Kosten beteiligen und mit Aktionen zu Spenden aufrufen. FCZ-Präsident Canepa sagt, er könne die Finanzierung nicht übernehmen. Trotzdem hat sich der Einsatz für die Fans gelohnt: Kurzfristig wurde auf nächste Woche ein Gespräch aller Exponenten bei Stadtrat Lauber anberaumt. Und alle finden die Südkurve toll – auch wenn sie eine Schraube locker hat.


05.09.2010